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rezensionen Leseprobe

«Ich würde gerne mit euch einen Blick zurück auf eure bisherige Schulzeit werfen. Auf die Grundschule natürlich und die Zeit, als ihr zum Gymnasium gekommen seid.»
Im Holzhaus wurde es ganz ruhig.
«Was würdet ihr als den Tiefpunkt eurer Schulkarriere bezeichnen?» Frijda blickte in die Runde. «Wer traut sich, dazu etwas zu sagen?»
«Der erste Tag in der Vorschule», sagte Joris. Manche lachten. Frijda zog die Augenbrauen zusammen.
«Geht es auch etwas ernsthafter?»
«Als meine Lieblingslehrerin wegging», sagte Maryse.
Zögernd begannen sie zu erzählen. Es schien, als finge die Klasse an, es interessant zu finden.
«Und das schönste Erlebnis?», fragte Frijda.
Abel nahm sofort das Wort. «Der Tag, an dem Bart in meine Klasse kam», sagte er laut, «in der fünften Klasse.»
Alle waren still. Ab und zu hustete jemand verlegen. Bis Dirk mit hoher Stimme sagte: «Ach, Bart, mein Liebster!», und dabei tuntig die Hand nach vorn fallen ließ. Sofort brüllte alles, die Holzscheune bebte fast vor Lachen. Vergeblich versuchte Frijda, die Situation zu retten.
«Ich finde es mutig, dass Abel sich traut, das so ehrlich zu sagen. Und ich verstehe überhaupt nicht, was daran ...»
Aber die Klasse war nicht zu halten.
Abel blickte starr auf seine Schuhe und Bart hatte einen roten Kopf. Er war wütend. Warum sagte dieser Idiot solche Sachen?
Kurz danach am Lagerfeuer stapfte Abel an einigen Klassenkameraden vorbei, um sich neben Bart zu setzen. Bevor er sich niederließ, stützte er sich auf Barts Schulter ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Bart war gleichzeitig erschrocken und böse. Musste das sein? Ausgerechnet jetzt?
Mit einem Ruck zog er den Oberkörper weg, wodurch Abel vornüberfiel und sich schreiend die Hand verbrannte. Frijda ging mit ihm weg, aber im Hintergrund war sein Gejammer noch lange zu hören.
Eine halbe Stunde später erschien er wieder am Feuer, die Hand verbunden, und setzte sich auf die andere Seite.

***

Noch lange nachdem Abel ins Zelt gegangen war, saß Bart am herunterbrennenden Lagerfeuer. Er unterhielt sich mit Inge über das Zeltlager: Was sie tagsüber gemacht hatten, was sie morgen tun würden. Er redete über alles und jeden, nur nicht über Abel. Wenn sie doch bloß fragte, oder etwas sagen würde, dachte Bart. Inge war die Einzige, der er erklären könnte, was eben geschehen war.
Eine Zeit lang blickte er ins Feuer, auf die Zweige, die dicht vor ihm zischend auseinanderplatzten, und zur Asche vor seinen Füßen. War Abels Handabdruck noch zu sehen? Nein, natürlich nicht.
Wie es Abel wohl ging? Er traute sich nicht nachzusehen.
Ein paar Meter entfernt saß Maryse. Nun ja, eigentlich lag sie mehr. Behaglich drehte sie das Gesicht in der Wärme der Glut. Ihr langes blondes Haar schien in Flammen zu stehen, ein goldgelber Strahlenkranz umfing ihren Kopf. Sie streckte sich noch ein wenig, langsam, als ob sie in der Sonne lag, und ihre Sommerjacke straffte sich immer mehr über ihrem Körper. Er konnte genau die Konturen ihrer Brüste sehen. Plötzlich blickte sie ihm direkt ins Gesicht. Er wandte seinen Blick schnell ab. Hatte sie bemerkt, wie er sie anstarrte? Langsam drehte er den Kopf zurück. Immer noch sahen die braunen Augen ihn an. Sie lachte, während sie mit einer Hand ihr Haar nach hinten warf.
«Bist du bei Abel gewesen?» Frijdas Stimme war hinter ihm.
Überall verstummten die geflüsterten Gespräche. Jeder hatte die Frage gehört und wartete auf die Antwort.
«Er ist doch nicht mein kleiner Bruder, oder?»
«Nein, aber ich dachte, ihr wärt Freunde.»
«Heißt das, ich muss den Pfleger spielen?»
Frijda drehte sich um und ging weg. Niemand sagte etwas. Hatte eigentlich jemand gesehen, warum Abel gefallen war? Vielleicht dachten alle, Abel habe einfach sein Gleichgewicht verloren ...

Es war schon spät, als Bart ins Zelt kam. Er wartete, bis sich seine Augen ans Dunkel gewöhnt hatten, und blickte in die Richtung, wo Abel lag. Ob er wach war?
«Tut es noch weh?», flüsterte Bart.
«Was?»
Halb wach also.
«Deine Hand. Hast du Schmerzen?»
«Das ist dir doch vollkommen gleichgültig.»
«Nein, sonst würde ich nicht fragen.»
Abel richtete sich halb auf.
«Wenn du nicht willst, dass ich neben dir sitze, dann kannst du mir das einfach sagen. Dafür musst du mich nicht ins Feuer schubsen.»
«Das wollte ich doch nicht. Wirklich nicht. Es ... es war aus Versehen. Ich wollte nur ...»
«Du wolltest mir nur einen Stoß geben und das Feuer hätte kurz zur Seite gehen sollen.»
«Ich habe nicht an das Lagerfeuer gedacht.»
Eine Zeit lang war es still.
«Aber ich habe die Botschaft verstanden. Ich setze mich nicht mehr neben dich.» Abel legte sich wieder hin.
Aus den Zelten um sie herum hörte man Rumoren, jemand rief etwas, eine Taschenlampe wurde auf ihr Vorzelt gerichtet.
«Wer schläft hier?»
«Abel und Bart.»
«Oho.»
Gelächter. Die Stimmen entfernten sich, dafür näherten sich andere. Wieder fiel ein Lichtstrahl auf ihr Zelt.
«Hör doch auf. Da liegt Abel, der schläft bestimmt schon.»
Bart nahm seine Kulturtasche, kroch aus dem Zelt und ging zu den Waschbecken.
Dort, im grellen Licht einer Leuchtstoffröhre, stand Dirk. Er hatte eine Hand am Wasserhahn und krümmte sich vor Lachen. Mit dem Daumen verfälschte er den Strahl, sodass er Joris traf und ihn völlig nass spritzte. Vor den Waschbecken hatte sich bereits eine große Pfütze gebildet. Als er Bart sah, ließ er los.
«Wie geht es Abel?»
«Gut.»
«Und er will immer noch mit dir in einem Zelt schlafen?»
«Wieso?»
«Wenn du mich so angerempelt hättest, würde ich mir einen anderen Schlafplatz suchen.»
«Mach dir da mal keine Sorgen, mit dir werde ich nie in ein Zelt gehen.»
«Ach, liebster Bart, wirklich nicht?»
Mit beiden Händen fasste Dirk ihn am Oberarm. Bart machte sich los und versetzte ihm einen kräftigen Schlag in die Magengrube.
«Hau ab, du Idiot.»
Er stampfte zurück zum Zelt. Rüde zog er den Reißverschluss auf und schmiss seinen Waschbeutel ans Fußende.
Abel schlief. Oder stellte sich schlafend.
Bart lauschte den Geräuschen auf dem Campingplatz. Von ein paar Zelten weiter klang Lachen herüber. Manchmal das monotone Brummen einer einzelnen Stimme und dann ein johlender Chor. Bis Frijda der Sache donnernd ein Ende bereitete. Danach war nur noch hier und da Geflüster und unterdrücktes Prusten zu hören.
Im Halbdunkel war der weiße Verband um Abels Hand gut zu sehen. Von Zeit zu Zeit bewegte sich die Hand zitternd, wie ein übermüdeter Vogel, der einen Ruheplatz sucht. Bart betrachtete sie, bis der Vogel sich zwischen ihnen beiden auf dem kahlen Zeltboden niedersetzte.
Zögernd zog er einen Pullover aus seinem Gepäck und machte eine Art Kissen daraus. Er nahm die weiße Hand hoch – vorsichtig, lass ihn bloß weiterschlafen, bitte! – und schob seinen Pullover darunter.
Es dauerte Stunden, bis er endlich in einen unruhigen Schlaf fiel. Er hörte jedes Aufstöhnen von Abel.